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Leitkultur KFZ

Ein Gastbeitrag von Michi Herl

Ob es überhaupt jemand merken würde, schlösse das KFZ? Wahrscheinlich nicht. Selbst die Mehrzahl der Taxifahrer zucken mit den Schultern, steigt man am Bahnhof ein und sagt „Zum KFZ bitte“. Also was soll´s? Zu mit dem Ding. Einen schönen, großen Handy-Shop könnte man doch prima reinmachen. Oder einen Laden, der Artikel führt, die nicht teurer sind als 55 Cent. Oder ein Wettbüro. Oder einen Beate-Uhse-Shop. Irgendwas muß man schließlich tun abends. Und was liegt da näher, als sich was zu kaufen, das man in sich reinstecken kann. Oder vielleicht einen schönen Show-Room für NS-Devotionalien. Da hocken doch so viele Nazis rund um Marburg. Oder aber in schöner Tradition diverser Wiesbadener Politiker: Einen Hauraum für schlagende Verbindungen. Man läßt die Bühne und die Stühle einfach stehen, so können sich die Jungs vorne die Fratz blutig kloppen, und hinten sitzen die alten Herren und saufen sich ins Koma. Jawohl. Das ist deutsche Leitkultur. Was braucht´s da so einen verwanzten Kulturbetrieb, den eh keine Sau kennt in der Stadt. Und dann wollen die auch noch die astronomisch hohe Summe von vierzigtausend Euro, weil sie sonst wirklich einpacken müssen.

Jetzt mal im Ernst und weg von der deutschen Leitkultur und hin zur wahren Leitkultur: Es wäre ein Jammer, müßte das KFZ wegen dieser lächerlichen paar fehlenden Euros die Pforten schließen. Nicht nur Marburg würde dann ein Stück Kultur fehlen, sondern der gesamten Republik. Betrachtet man sich das Programm der vergangenen bald dreißig Jahre, so findet sich dort nicht wenige Namen, die heute die Crème de la Crème in den Bereichen Kabarett, Comedy, Rock, Pop, Punk, Indie und was weiß ich noch alles bilden. Okay, es sind keine Künstler, die samstagabends zur Prime Time im HR-Fernsehen auftauchen. Es sind keine Leute, die mit Schwälmer Landfrauen im Kreis tanzen, anschließend eine Schmandsuppe schlürfen und im Vollplayback davon singen, wie lustig das Leben im Heustadl doch ist. Deswegen mögen Leute wie Peter Hammill, Marceo Parker, Richie Havens, Leo Bassi oder Juan José Mosalini nun dem Marburger Durchschnittsbürger nicht unbedingt ein Begriff sein – doch ich will Ihnen was sagen: Das ist auch scheißegal!

Man muß nicht alles mögen, schon gar nicht muß man alles verstehen. Es wäre zwar prächtig, gäbe sich der eine oder andere etwas Mühe, das eine oder andere nachzuvollziehen, was sich außerhalb seines oft doch recht begrenzten Horizonts abspielt – doch daran zu glauben, habe ich mir schon vor Jahren abgewöhnt.

Es geht mir auch nicht um´s Akzeptieren, mir reicht das Tolerieren. Und – im Falle des KFZ – das Erkennen, wie wichtig solch ein Kulturbetrieb für die Hygiene einer Stadt ist. Es kann und darf nie nur das Eine geben, auch wenn man mit dem Anderen nichts anfangen kann. Auch nicht, wenn man die Lebensmodelle anderer Menschen wie zum Beispiel jene der Betreiberinnen und Betreiber des KFZ nicht nachvollziehen kann. Leute, die keine Karriereleiter besteigen wollen, keine Aktienpakete kaufen und keine Doppelhaushälfte, sondern die es glücklich macht, einen Kulturbetrieb zu betreiben, auch wenn sie selbst nur wenig daran verdienen. Jawohl, sowas gibt es – und man nennt das Idealismus. Und der fehlt leider meistens in den diversen großmannssüchtigen Auflistungen, die uns erklären wollen, was wir alles unter deutscher Leitkultur zu verstehen haben sollen.

So möchte ich es wiederholen: Ein Betrieb wie das KFZ, das ist für mich deutsche Leitkultur. Herzensgute Menschen bauen gemeinsam etwas auf und halten es am Leben. So wünsche ich Euch KFZlern, daß die 40.000 Euros herbeikommen. Aus dem Säckel der Stadt, aus dem Portemonnaie von Privatleuten und nicht zuletzt aus den Kassen der vielen kleinen und mittleren Unternehmen Marburgs, von denen es mit Sicherheit etliche gibt, denen das Prädikat „Förderer des KFZ Marburg“ nicht nur ein wohliges Gefühl einbringen würde, sondern auch neue Kunden. Es gäbe gewiß nicht wenige, die beim nächsten Kauf von Gardinen, Farben, Hamstern, Autoteilen oder Fahrradpumpen lieber zu einem Förderer des KFZ gehen würden als zu einem, der es gar nicht merken würde, schlösse das KFZ.


Michael Herl

*1959 in Pirmasens/Pfalz.
- 1981/82 Ausbildung an Deutscher Journalistenschule München, Süddeutscher Zeitung und Bayerischem Rundfunk zum Redakteur Print/TV/HF.
- Danach Reporter bei STERN, Hamburg, später STERN Redaktion Frankfurt. Seit 1984 freier Autor und Dokumentarfilmer. Filme für WDR, SWF, NDR und RAI (Italien), Schwerpunktthemen Umwelt, Soziales und Gesellschaftspolitik. 1984-1987 TV-Beiträge für REPORT Baden-Baden und MONITOR. 1986 Regie Kino- Musikfilm über „WAAhnsinn“ (u.a. mit Herbert Grönemeyer, Udo Lindenberg, Rio Reiser, Toten Hosen, BAP. Produktion: Wim Wenders).
- Ab 1987 regelmäßig Print-Reportagen aus Europa, Nord- und Mittelamerika und Asien vorwiegend zu sozialkritischen Themen und aus Krisengebieten für GEO, STERN, ZEIT-magazin... 18 Buchveröffentlichungen...
- April 1999 bis November 2004 ca. 1600 Sendungen als Co-Moderator der „Late Lounge“ im HR-Fernsehen (2003 Grimme-Preis-Nominierung). Seit 1999 mehrere Rollen in „Polizeiruf 110“, „Ein Fall für zwei“ und „Die Kommissarin“.
- 1998 Erarbeitung der Figur „Anton Le Goff“ und Schreiben des ersten Stückes „mutterlos“. Autor für diverse weitere Kabarettisten u.v.m.
- 1999 Mitbegründer des Kreativ-Büros „Taunusblick“ (2003 Best Corporate Publishing Award in Silber für Kundenzeitschrift Johnnie Walker).
- Seit 1998 Künstlerischer Leiter des Stalburg Theaters in Frankfurt- Seit 2003 Hausfreund des KFZ (seit 2004: Michi Herl moderiert 1 x im Monat im KFZ 2-5 komische Gestalten.


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