Vortrag des 101-jährigen Zeitzeugen des Nationalsozialismus Dieter Woischke
Leichte Sprache: Ein Vortrag von Dieter Woischke. Er erzählt über seine Erfahrungen zurzeit des Nationalsozialismus in Marburg. Ein Nationalsozialist ist rassistisch und judenfeindlich.
Dieter Woischke war selbst lange Zeit als Stadt- und Wanderführer in Marburg aktiv. Er kennt die Stadt und ihre Geschichte wie kaum ein anderer. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er als Soldat und war auf diese Weise in die Zeit verstrickt. Nach 1945 wurde er ein entschiedener Kriegsgegner. Er hat sich durch intensive Forschungen mit der Vergangenheit in Marburg auseinandergesetzt.
Dieter Woischke wird am 12. Januar 2025 101 Jahre alt und ist immer noch aktiv. 2024 wurde er für sein Wirken im KFZ mit der Goldenen Ehrennadel der Universitätsstadt Marburg ausgezeichnet.
„Marburg ist eine Universität“, meinte Ernst Koch in seinem Roman „Prinz Rosa-Stramin“. Daran hat sich bis heute kaum etwas geändert, obwohl sich Koch bereits 1825 in Marburg immatrikulierte. In Marburg fehlen nach wie vor die Industrie und damit auch die Industriearbeiter*innen, welche damals herabmindernd als Proletariat bezeichnet wurden. Dieses in Marburg nicht vorhandene Proletariat war die Voraussetzung für die konservative und rechte Entwicklung in Marburg während der Kaiser- und Weimarer Zeit.
1817 demonstrierten die Studenten, auch die Marburger, auf der Wartburg noch gegen die Fürsten. Aber nach der Gründung des zweiten Reiches 1871 kippten sie um. 1866 war Marburg preußisch geworden. Gleich nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 machten die Preußen den Marburger*innen in Form einer neuen Universität eine Morgengabe – heute die Alte Uni. Finanziert wurde dieser Bau u. a. mit den Reparationsgeldern der Franzosen. Dieser Neubau löste für Uni wie Stadt eine explosionsartige Entwicklung aus.
Im ausgehenden 19. Jh. wollte der damalige Stadtbaumeister Brög in Marburg eine Autofabrik bauen, aber die Stadt winkte ab. Und so blieb Marburg nicht nur ohne steuerbringende Industrie, sondern auch ohne das in Opposition zur Obrigkeit stehende Proletariat.
Zur gleichen Zeit stellte Marburg mit dem Volkskundler Dr. Otto Böckel den ersten antisemitischen Reichstagsabgeordneten. 1920 ermordeten Marburger Studenten im Rahmen ihres Stukoma-Einsatzes in Thüringen 15 unbewaffnete Arbeiter. Trotzdem gab es einen Freispruch, welcher bei Georg Grosz beigefügte Zeichnung auslöste. Und schon vor 1933 hatten die Rechten im damaligen Studentenparlament die Mehrheit.
Aber auch die Marburger Bürger*innen hatten mit dem neuen republikanischen und demokratischen Staat ihre Probleme. So hatte Hitler bereits vor 1933 in Marburg Wahlergebnisse, die über dem Durchschnitt lagen. Bei der Reichspräsidentenwahl 1932 wählten die Marburger*innen nicht den kaiserlichen Generalfeldmarschall Paul v. Hindenburg, sondern Hitler.
Selbst nach dem zweiten Weltkrieg und dem Ende des „1000-jährigen Reiches“ bezeugten die Marburger*innen ihre konservative Haltung. Die Universität begann erst sehr spät, sich mit ihrer Haltung während der Nazizeit zu beschäftigen. Auch in der Stadtgesellschaft war diese Zeit lange tabu.
Einlass: 19:00 Uhr | bestuhlt
Eintritt frei